Sonntag, 6. Juni 2010

Heterotopie oder Nicht-Heterotopie, das ist hier die Frage!

Unsere Aufgabenstellung lautete "Untersuchen Sie eine Heterotopie der Gegenwart" - Voraussetzung ist also das Heterotopie-Sein von öffentlichen Toiletten, folglich das Erfüllen möglichst vieler Merkmale. Um dieses Sein festzuhalten, betrachten wir noch einmal die sechs Merkmale, die Foucault in seinem Text "Von anderen Räumen" festlegt und wenden sie nach Möglichkeit auf öffentliche Toiletten an.

  1. Foucault legt in seinem ersten Grundsatz fest, dass Hetereotopien in allen Kulturen zu finden sind: "Es handelt sich hierbei um eine Konstante aller menschlichen Gruppen." (S.312) Wir sind uns darin einig: In allen Kulturen gibt es Möglichkeiten seinem „Druck“ zu entkommen und das auch, wenn man sich nicht in den eigenen „vier Wänden“ aufhält. Standart und Art der Institutionen (falls es denn welche sind) variieren
    stark. Jedoch führt er seinen Grundsatz weiter aus und spricht von Abweichungs-oder Krisenheterotopien. Unserer Meinung nach ist die öffentliche Toilette weder eine Krisenheterotopie, denn es handelt sich ja in diesem Kontext nicht um einen heiligen oder verbotenen Ort, noch ist sie eine Abweichungsheterotopie, da sie ja nicht als Ort für Menschen fungiert, „deren Verhalten vom Durchschnitt oder von der Norm abweicht“ (S.322).


  2. Befasst man sich nun mit dem zweiten Grundsatz, so scheint dieser bei öffentlichen Toiletten verwirklicht. Heterotopien, so Foucault, sind nicht statisch, sondern historisch wandelbar, also Ort gewordene gesellschaftliche Ideen. Diesen Grundsatz halten wir hier für voll erfüllt. Die öffentlichen Toiletten gibt es in jeglichen Variationen, wie auch auf unserem Blog zu finden. Außerdem kann auch ein Wandel bis zum Hier und Jetzt festgestellt werden, was gegen den Aspekt des Statischen und somit für den zweiten Grundsatz spricht.


  3. Foucault führt die Fähigkeit an „mehrere reale Räume, mehrere Orte, die eigentlich nicht miteinander verträglich sind, an einem einzigen Ort nebeneinander zu stellen“ (S.324). Öffentliche Toiletten erfüllen teilweise diese Funktion, da sie nicht nur dazu da sind, sich erleichtern zu können, sondern oftmals trifft man in diesen Toiletten auf ganz ungeahnte Informationen. Die Wände sind nicht selten mit Flyern beklebt, die auf anstehende Parties oder Veranstaltungen aufmerksam machen. Zudem gibt es auch ab und zu Suchanfragen für Wohnungen oder Angebote für Nachhilfen, Musikunterricht oder Sonstiges. Hier treffen also in einem Raum mehrere Orte aufeinander. Dies trifft natürlich nicht auf jede öffentliche Toilette zu, womit der dritte Grundsatz nur teilweise erfüllt ist.

  4. Weiterhin führt Foucault in seinen Überlegungen die Verbindung mit zeitlichen Umbrüchen an. Nun fragt man sich natürlich, was öffentliche Toiletten mit zeitlichen Umbrüchen zu tun haben. Jedoch erkennt man in den Anführungen seiner Beispiele gewisse Punkte, die auch auf Toiletten anzuwenden sind, da sie eigentlich in gewisser Weise als Heterotopien der Zeit, wie z.B. Museen oder Bibliotheken anzusehen sind. Natürlich nich in derselben Zeitspanne, aber auch hier ist die Zeit an einem Ort akkumuliert. Graffiti, Sprüche, Zeichnungen, ja selbst wenn es nur ein schlichtes "Ich war da!" ist: Die Toilettenwände fungieren hier als eine Art Archiv. Und jeder ist prinzipiell in der Lage dieses Archiv zu erweitern.

  5. Foucault sagt, Heterotopien setzten stets ein “System der Öffnung und Abschließung voraus, das sie isoliert und zugleich den Zugang zu ihnen ermöglicht“ (S.325). Eigentlich muss man auch bei öffentlichen Toiletten Eingangsrituale absolvieren. Es kann dazu kommen, dass man sich anstellen muss und im Normalfall ist es auch nötig, zumindest ein bisschen Kleingeld für die Putzfrau dazulassen. An Raststätten muss man sogar eine Schranke passieren, die sich erst nach dem Einwurf von 50 Cent öffnen lässt. Semi-öffentliche Toiletten setzen meist das Mitglied und/ oder Gastsein voraus (Beispiel Restaurant, Sporthalle).

  6. Das letzte Merkmal, welches im Text angeführt wird, das Heterotopien "einen illusionären Raum schaffen, der den ganzen realen Raum und alle realen Orte, an denen das menschliche Leben eingeschlossen ist, als noch größere Illusion entlarvt. [...] Oder sie schaffen einen anderen Raum, einen anderen realen Raum, der im Gegensatz zur wirren Unordnung unseres Raumes eine vollkommene Ordnung aufweist." (S. 326) Unserer Meinung nach stellen heutige öffentliche Toiletten ein materiell gewordenes, gesellschaftliches Ideal dar, das die Naturbedürfnisse des Menschen auslagert und an einen abgeschiedenen Ort verbannt, an dem man nur für die Dauer seiner Notdurft verweilt und den man danach gleich wieder verlässt. Öffentliche Toiletten müssen dabei nicht zwangsläufig eine völlige Ordnung aufweisen, aber sie lassne in gewisser Weise die unnatürliche Lebensweise und die artifizielle Absonderung des Menschen von der Natur erkennen, weshalb der erste Punkt unserer Meinung nach als erfüllt anzusehen ist.



Die eindeutige Zuordnung ist meist nur schwer möglich und meistens nicht eindeutig. Es liegt großteils im Auge des Betrachters, ob die Punkte übertragen auf öffentliche Toiletten als erfüllt oder nicht erfüllt angesehen werden. Die von uns gewählten Toiletten erfüllen meist einen Großteil der Merkmale und werden von uns daher als Heterotopien betrachtet.


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